Ein häufiges Argument für den Erhalt der Brücke und des Tunnels ist „Aber was soll denn dann mit dem Verkehr passieren? Dann bricht doch alles zusammen! Es gibt doch jetzt schon jeden Tag einen Stau.“. Die Annahme dahinter ist, dass mit mehr und breiteren Straßen auch der Verkehr schneller und reibungsloser fließt. Das glaubten auch die Stadtplaner der 1960er Jahre, aber in der Realität ist das nicht der Fall.
Das tatsächliche Verhalten des Straßenverkehrs entspricht unbequemerweise nicht unbedingt der Intuition. Hier möchten wir drei Phänomene vorstellen, die man kennen sollte, wenn man über Stadtverkehr diskutiert.
Eine interessante (englische) Website, die diese Phänomene an konkreten Beispielen erläutert, finden Sie hier.
Induzierter Verkehr
Das ist ein Spezialfall der induzierten Nachfrage (Wikipedia). Kurz gesagt: Je mehr Straßen man baut, desto mehr Menschen entschließen sich, Auto zu fahren, und füllen diese Straßen sofort wieder. Dieser Effekt funktioniert nachgewiesernermaßen auch umgekehrt: Wenn man Straßen sperrt oder entfernt, verringert sich der Straßenverkehr entsprechend.
Es stellt sich immer ein Gleichgewicht zwischen verfügbarer Straßenfläche und Verkehr ein. Die klassische Lösung, wenn der Verkehr etwas zäh fließt: Man baut neue Straßen oder verbreitert vorhandene. Wenn die Straße doppelt so breit ist, können doppelt so viele Autos in der gleichen Zeit darüber fahren, ist doch klar! Nein, ist es nicht: Die neue Verbindung ist attraktiv, also fahren mehr Menschen dort entlang, zum Teil sogar Menschen, die vorher gelaufen sind oder den Bus genommen haben. Es ist eben bequemer! Aber der Verkehr hat zugenommen, und auf der breiten Straße staut es sich schon wieder. Wie oft verbreitert man sie, bis man einsieht, dass dadurch das Problem nicht gelöst wird?
Dazu kommt natürlich noch die Frage: Wo bleiben die Autos, wenn die schöne neue breite Straße zu Ende ist? (Tipp: Zu besichtigen ist das täglich in der Schildhornstraße.)
Im Fall des Ost-West-Verkehrs über den Breitenbachplatz war das Argument allerdings teilweise ein anderes: Die Idee der 1960er Jahre war, den Verkehr auf Schnellstraßen zusammenzufassen, um die Wohnviertel vom Verkehr zu entlasten. Die Idee hatte zwei Haken: Erstens hat man einen Teil des Verkehrs, den man bündeln wollte, dadurch überhaupt erst erzeugt (siehe oben), und zweitens hat man teilweise durch den Straßenbau die Wohnviertel, die man entlasten wollte, einfach zerstört; das hört sich nicht nach einer überzeugenden Lösung an. Man hatte damals z. B. vor, die komplette Nordseite der Schildhornstraße abzureißen und die Autobahn als Hochstraße vom Breitenbachplatz bis zur Filandastraße zu führen, direkt vor der ersten Etage der verbliebenen Häuser auf der Südseite! Einige Pfeiler für diese geplante Hochstraße kann man heute noch besichtigen.
Der oben verlinkte Wikipedia-Artikel beschreibt das Phänomen sehr ausführlich, sehr lesenswert!
Zum großen Teil läuft der „induzierte Verkehr“ wohl einfach auf ein Gleichgewicht zwischen Bequemlichkeit und Zerstörung des eigenen (oder eines benachbarten) Umfelds hinaus. Wir als Bürgerinitiative glauben, dass zum Wohle des Ganzen gelegentlich auch ein kleines bisschen Unbequemlichkeit zumutbar ist. Wir glauben, dass es sinnvoller ist, der Bequemlichkeit durch einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs entgegenzukommen als durch einen Straßenbau, der letztlich sein Ziel nicht erreicht und der eine Spur der Zerstörung hinterlässt.
Das Downs-Thomson-Paradoxon
Anthony Downs und John Michael Thomson haben herausgefunden, dass „die durchschnittliche Geschwindigkeit des Autoverkehrs auf einem Straßennetz durch die durchschnittliche Tür-zu-Tür-Geschwindigkeit von gleichwertigen Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestimmt wird“ (Wikipedia). Das ist verblüffend, wird aber tatsächlich von Verkehrsplanern benutzt, um die Auswirkungen von Verkehrsplanung vorab einzuschätzen (in Holland nimmt man statt des ÖPNV den Radverkehr als Vergleichsgröße). Anders gesagt: Der Ausbau des Straßennetzes verringert die Staubildung nicht. Er kann den Verkehrskollaps sogar beschleunigen, falls der Ausbau für den motorisierten Individualverkehr (MIV) direkt oder indirekt zu Lasten des ÖPNV geht (genau um letzeres zu vermeiden, baut man z. B. Busspuren). Salopp formuliert: Man kann noch so viele Straßen bauen, man kommt innerhalb der Stadt trotzdem nicht schneller von A nach B. Und der Umkehrschluss: Auch der Wegfall einer Straßenverbindung bedeutet nicht automatisch, dass man länger für seinen Weg braucht.
Das Downs-Thomson-Phänomen gilt allerdings vor allem im großräumigen Umfeld, z. B. wenn der Pendlerverkehr in die Stadt und zurück in Konkurrenz zu parallelen ÖPNV-Netzen steht (z. B. ein U-, S- oder Straßenbahnnetz). Für kleinräumige Quartiesplanung ist er nicht direkt anwendbar.
Das Braess-Paradoxon
Das Braess-Paradoxon (Wikipedia) ist ein etwas allgemeiner formuliertes Phänomen, das für beliebige Netzwerke gilt (nicht nur für den Straßenverkehr). Es formuliert entsprechend abstrakt, dass zusätzliche Handlungsoptionen nicht einmal dann automatisch zu einer Verbesserung führen, wenn sich alle Beteiligten vernünftig (rational im Sinne des eigenen Interesses) verhalten.
Braess hat das ursprünglich tatsächlich am Beispiel eines Straßennetzes illustriert, in dem der Bau einer Abkürzung (eines Tunnels mitten durch eine Stadt) dazu führt, dass der frühere Umgehungsverkehr effektiver war, also im Durchschnitt eine kürzere Fahrzeit zur Folge hatte als die neue Verkehrsoption mit Tunnel. Dieses Beispiel ist der Originalarbeit von Braess aus dem Jahr 1968 entnommen und bei Wikipedia ausführlich erklärt. Für die Berliner Verkehrsplanung kam die Erkenntnis leider zu spät …