Hans Stimmann: Breitenbachplatz und Stadtautobahn

Der folgende Beitrag sollte eigentlich in die Broschüre der BI aufgenommen werden, war dafür aber dann zu lang. Dr. Hans Stimmann hat sich mit dem Thema seit Anfang der 70er Jahre politisch und als Stadtplaner zwei Jahre fachlich an der TU Berlin beschäftigt und zu Stadtautobahn und städtebaulicher Integration 1979 eine zweibändige Dissertation verfasst.

Die Stadtautobahnbrücke, die seit 1980 den Breitenbachplatz brutal zerstört, muss abgerissen werden! Das fordern inzwischen nicht nur eine BI, sondern mit Ausnahme der AfD alle Fraktionen der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Wie groß der Konsens im Allgemeinen ist, sieht man daran, dass diese Position zuerst in einem Antrag der oppositionellen CDU formuliert wurde und erst dann von der regierenden rot-rot-grünen Koalition übernommen wurde. Die CDU übernahm die Forderungen der BI Breitenbachplatz nach einem „Rückbau“ der Stadtautobahnbrücke und der Prüfung einer Führung des Autobahnverkehrs „zugunsten einer ebenerdigen Verkehrsführung über den Platz“.

Für die Prüfung, so der ursprüngliche Antrag, sollte eine Machbarkeitsstudie vorgestellt werden, die „die städtebaulichen Gesichtspunkte sowie eine Prognose zu den verkehrlichen Auswirkungen eines Brückenrückbaues“ beinhaltet. Die CDU begründet ihren Antrag damit, dass es sich bei der Brücke „um das unschöne Erbe einer Verkehrs- und Stadtplanung“ handele, bei der die vorgesehene Lückenschließung zwischen den heutigen Autobahnzubringern und der A 103 (…) seit Jahrzehnten aus guten Gründen nicht mehr verfolgt wird“.

Den Inhalt dieses sich auf die 40 Jahre andauernde Verunstaltung des Breitenbachplatzes konzentrierenden Antrags haben die rot-rot-grünen Senatsfraktionen im Prinzip übernommen. Leider hat die grüngeführte Verkehrsverwaltung nicht gehandelt, sondern plant resp. lässt planen und beauftragt damit einen Gutachter. Im politischen Alltag der „Verkehrswende“ heißt das, dass jede Entscheidung bis nach den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2021 verschoben wird. Dabei liegt das Material schon seit Jahrzehnten, genauer seit 1980 mit meiner Dissertation an der TU Berlin, vor. Wer will, kann in zwei Bänden auf dem Hintergrund einer detaillierten Darstellung der West-Berliner Verkehrsplanung (Stadtautobahn) den aus heutiger Sicht erschreckend naiven Umgang mit den städtebaulichen Folgen der Automobilisierung nachvollziehen. Das wichtigste Ergebnis der Analyse ist der Befund, dass die Brücke über dem Platz ein Stück gebauter Stadtpolitik der späten fünfziger Jahre, also der Jahre rund um den Mauerbau ist. West-Berlin, Partnerstadt von Los Angeles, setzte auf ein Stadtautobahnsystem in Form von Ringtangenten. Dazu gehörten, ganz im Bild der noch ungeteilten Stadt gedacht, der Ring parallel zur S-Bahn und die vier Tangenten (West, Nord, Süd und Ost). Sie sollten die nun in Ost-Berlin gelegene Innenstadt einfassen.

Aber es wurde nicht nur geplant und gebaut, sondern auch politisch heftig gestritten. Besonders berühmt wurden die Auseinandersetzungen um die Westtangente (östlich von der Staatsbibliothek gelegen), die Südtangente (die den Mehringplatz von der Friedrichstadt abschnitt) und die Osttangente in Kreuzberg. Natürlich war dieses System nicht verkehrswissenschaftlich mit Autoverkehrsmengen und schon gar nicht stadtbaukünstlerisch, sondern ausschließlich verkehrspolitisch begründet. Der SPD-geführte Senat wollte das historische, d. h. barocke und gründerzeitliche Straßennetz samt Bebauung durch eine neue offene Stadtlandschaft mit Stadtautobahnen ablösen.

Ein merkwürdiges Netzteil dieser neuen Stadtlandschaft bildet der Abzweig Wilmersdorf [AS 14 Schmargendorf, Red.], über den man besonders schnell mit dem Auto über die Westtangente in das damalig neue Verwaltungszentrum West-Berlin am Fehrbelliner Platz gelangt.
Die immerhin noch von der Logik der Verkehrsplaner nachvollziehbaren Süd- und Ost- Tangentenstrecken wurden zuletzt von dem nur wenige Monate regierenden Bürgermeister Jochen Vogel (SPD) ohne verkehrswissenschaftliches Gutachten gekippt. Das Wahlkampf-Motto hieß zu seiner Zeit, „Es lohnt sich wieder SPD zu wählen – Die Westtangente wird nicht gebaut“. Und das wurde auch umgesetzt. Gebaut wurde aber mit dem Rücken als Lärmschutz zur Westtangente die Staatsbibliothek. Das gleiche gilt für die Südtangente am Mehringplatz: Auf die Autobahn wurde verzichtet, aber die Lärmschutzbebauung wurde realisiert. Man erkennt die architektonischen Schleifspuren der Autobahn, und schon das ist bis heute zuviel an realisierter Stadtzerstörung, der der Oranienplatz und seine Überformung in einem hochliegenden Knoten zwischen Süd- und Osttangente (nach 1979 im FNP vorgesehen) zum Glück für Kreuzberg entkommen ist. Für diesen Verzicht bedurfte es keines wissenschaftlichen Gutachtens, sondern eines politischen Willens, eigene Ziele auch durchzusetzen. Daran mangelt es im jetzigen Senat. Die Ziele für eine Verkehrswende sind im Mobilitätsgesetz aufgelistet. Die Folgen für den Stadtautobahnabzweig Wilmersdorf sind aber nicht die Stilllegung und der Abriss, sondern ein in Auftrag gegebenes Gutachten der grünen Verkehrssenatorin. Dazu kommt die Unterschutzstellung der Wohnmaschine durch den der Linken zugerechneten Kultursenator. Dabei zeigt ein einfacher Blick auf den Stadtplan, wie überflüssig die im Bereich der Schildhornstraße „unvollendet“ gebliebene Stadtautobahn in Hochlage ist. Die besonderen Gründe hierfür finden sich in der damaligen verwaltungsinternen Debatte über die Lage des südlichen Abschnitts des Stadtautobahnringes in den Jahren 1956 bis 1958 und ist verbunden mit den Planungen A. Speers. Sein Konzept war durch vier Hauptverkehrsstraßenringe und ein gewaltiges Achsenkreuz gekennzeichnet. Die Trassenführung des 3. Ringes im Südwesten entsprach dabei exakt dem heutigen Autobahnabzweig A100-Wilmersdorf-Steglitz. Der NS-Staat sicherte sich 40 % der notwendigen Grundstücke, aber die Planung blieb solange auf dem Papier, bis der erste West-Berliner Flächennutzungsplan (1950) das Thema der Schnellstraßenzüge wieder aufnahm. Man stritt sich verwaltungsintern über die Lage und den Typ: Schnellstraße oder Stadtautobahn? Beim Straßentyp fiel die Entscheidung des Senats sehr schnell für die Stadtautobahn („greetings from L. A.“). Bei der Lage entschied sich Bausenator R. Schwedler (SPD) für die parallel zur S-Bahn laufende Trasse, gegen die leitenden Beamten seiner Straßenbauabteilung. Diese gaben aber nicht klein bei und so entstand ein zäher Kampf über die ‚bessere’ Stadtautobahntrasse und gleichzeitig über die Machthoheit bei der Verkehrsplanung innerhalb der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen.

Heute hätte die inzwischen geteilte Verkehrs- und Stadtplanungsverwaltung die Möglichkeit , wie seinerzeit Jochen Vogel, zu entscheiden, nicht nur die Brücke über dem Platz abzureißen zu lassen (Bundesvermögen) und damit dem Platz seine ursprüngliche Gestalt zurückzugeben, sondern ohne weitere Gutachten den gesamten Abzweig zwischen Hohenzollerndamm [A100, Red.] und Breitenbachplatz stillzulegen. So ganz nebenbei entstünden damit auch Flächen für den Wohnungsbau. Natürlich nicht über, sondern anstelle der Stadtautobahn.