Ein Rundgang um den Platz
Ergänzende Bildergalerien finden Sie hier: aktuelle Bilder, historische Bilder.
Sie können diesen Rundgang auch als App-basierte Schnitzeljagd (Actionbound) erleben – alle Fragen, die Ihnen dort gestellt werden, werden im folgenden Text beantwortet.
Wir starten den Rundgang auf der Mitte des Platzes, einer Insel im Verkehrsstrom. Der Platz wurde auf dem Reißbrett als Rastatter Platz geplant und erhielt 1913 mit der Eröffnung der U-Bahn-Station den Namen Breitenbachplatz zu Ehren des früheren, für die Staatsbahnen zuständigen Ministers Paul Justin von Breitenbach (1850-1930). Dieser war auch maßgeblich an der Entwicklung des Gebietes und dem Bau der Wilmersdorfer U-Bahn beteiligt, an die die Wandmalerei an der Rückwand des mittleren U-Bahn-Eingangs erinnert. Damals war, wenn man aus dem U-Bahnhof hinauf stieg, hier noch weitgehend freies Feld (das Gelände hatte zuvor zur Domäne Dahlem gehört), die ersten Häuser, die ab 1922 sichtbar wurden, waren die Beamtenwohnungen an der Spil- und Milowstraße und ein paar Einzelhäuser sowie die Wohnhäuser Forststraße/Ecke Brentanostraße (damals Kleiststraße). Der Platz selber wurde von Georg Kuphaldt, lange Zeit Gartenarchitekt am Zarenhof in Petersburg, gestaltet.
Die U-Bahn hatte zwei noch heute in gleicher Gestalt bestehende Zugänge, der mittlere Zugang wurde 1979 quasi als Kompensation für die Zerschneidung der Platzes durch die Autobahnüberbauung gebaut. Wir sehen dieses Betonmonstrum vor uns, wenn wir vor dem Haupteingang stehen und nach Nordosten blicken. In der Mitte des ebenerdigen Straßenbandes sehen wir einen unzugänglichen Podest aus Backstein, der, wenn wir in der Achse blicken, die Fassadengestaltung des ehemaligen Reichsknappschaftsgebäudes (siehe weiter unten) auf der anderen Seite aufnimmt. Man hatte sich also etwas dabei gedacht.
Ein Blick über den Platz: Ist das nun Gartenkunst oder -vernachlässigung? Ja, es gibt, wenn man genauer hinschaut, es gibt wie vor hundert Jahren Fliedersträuche, nur verschwinden sie im Gestrüpp. An der Ecke zur Schildhornstraße ein trister Spielplatz, umzäunt, weil sonst ja ein Kind auf die Straße laufen konnte. Früher war der Spielplatz rechts vom Mitteleingang der U-Bahn. Neben dem Spielplatz die City-Toilette. Hier stand früher ein größeres Toilettenhäuschen der alten Art, das das Bild des Platzes prägte. Und in der Anfangszeit des Platzes war hier eine Tankstelle. Heute sehen wir die streng modern gestaltete, auf den ersten Blick aseptisch und nicht gerade gastlich wirkende Imbissbude, die die alte ersetzte. Für Viele ist es der Ersatz für die fehlende ganz normale Kneipe. Auf alten Bildern erkennt man, dass auf dieser Ecke einst ein Zeitungskiosk war; heute steht morgens ein russischer Migrant im Bahnhof und verkauft Zeitungen von seinem Klapphocker. Der Bahnhof selbst hat keinen Kiosk, obwohl hier reichlich Menschen abfahren und ankommen, kreuzen doch außer der U-Bahn drei Buslinien den Platz.
Heute findet auf dem Platz alle paar Wochen abwechselnd ein Kinder-Textilmarkt und ein Anziehmarkt für Erwachsene statt. Ab und zu spielt auch ein Zehlendorfer Petanque-Club Boule auf den Sandstreifen. Auch die Initiative Breitenbachplatz lädt übrigens jeden Mittwoch zum Boule-Spiel.
Wir gehen hinunter auf den Bahnsteig des denkmalgeschützten unterirdischen Bahnhofs, der 1911 bis 11913 nach Plänen von Wilhelm Leitgebel gebaut wurde und seine Gestalt seither nicht verändert hat, sieht man einmal von den Wandgemälden von Joachim Szymczak ab, die an den Namensgeber mit Bahnszenen von einst erinnert, und an die Fotos der Familie Breitenbach.
Wenn wir am Nordostausgang wieder ans Tageslicht treten, sehen wir linker Hand das rote Gebäude der Freien Universität (bis WS 2018/19 Lateinamerikainstitut), das 1929 von dem namhaften Bauhausarchitekten Max Taut zusammen mit Franz Hoffmann für die Reichsknappschaft gebaut wurde und ursprünglich die Adresse Breitenbachplatz 2 hatte. Geht man rechts davon ein paar Meter weiter, steht man in der Rüdesheimer Straße vor dem 1939 errichteten einstigen Haus des Verbandes Deutscher Chemiker im typischen repräsentativen Stil der Zeit; heute ist dort eine private Medizin-Hochschule. Hier steht auch der Park unter Denkmalschutz. Geht man dagegen links vom Institut ein paar Meter in die Binger Straße, steht man vor der einstigen Berliner Villa (Nr. 40) des 1948 wegen Kriegsverbrechen verurteilten Essener Industriellen Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Zwischenzeitlich gehörte sie der Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung, heute ist sie wieder in Privatbesitz. Das Haus wurde bereits 1926 errichtet, der Stahl-Magnat erwarb es 1937.
Das Restaurant „Piazza Michelangelo“ hat die Nummer Breitenbachplatz 4; wir sind hier immer noch in Wilmersdorf. Zuvor war hier mal ein Reisebüro. Davor am Ende des Südwestwestkorso die Bushaltestelle, an der bis Mitte der 1960er Jahre Endstation der letzten Berliner O-Bus-Linie war (es war die Linie A32), die aus Marienfelde über den Bahnhof Steglitz kam. Die Oberleitungen führten um den Nordostausgang des Bahnhofs herum und über die Schildhornstraße im Kreis wieder zurück. Hinter dem Restaurant ein aus der Zeit gefallener Kirchenneubau (erbaut 2002 bis 2005), der von der vom Vatikan verstoßenen Pius-Bruderschaft des Bischofs Lefebvre errichtet wurde. Schräg gegenüber ist das Eichamt mit seiner charakteristischen Dachkuppel, unter der sich von 1981 bis 1999 die Elektronenspeicherringanlage BESSY I befand. Weiter in die Lentzeallee hinein sieht man die denkmalgeschützte “Beamtensiedlung” von 1922 und die letzte Erinnerung daran, dass diese Fläche einmal zum Landgut Domäne Dahlem gehörte: die Äcker des Campus Dahlem der Humboldt-Universität zu Berlin.
Unter der Autobahnbrücke hindurch kommen wir – und hier beginnt Dahlem – zum Eckhaus mit dem Restaurant und offener Dachterrasse mit seinen charakteristischen Ziegelsteinbändern. Es wurde nach Plänen des Architekten Fritz Hermann Moldzio aus dem Jahr 1926 „in maßvoll expressionistischen Formen“ (so das Denkmalamt) errichtet. Die Ausführung erfolgte in mehreren Schritten von 1927 bis 1930. Hier war zu Anfang das weithin beliebte Café Telschow. Der Bäcker hatte mehrere Filialen in Berlin. Ab 1932 führte der Juniorchef Ernst Telschow (1889–1988) das Café am Breitenbachplatz. Er trat 1933 gleich der NSDAP bei und wurde schon bald Zweiter und später Erster Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, aus deren Instituten mehrere Nobelpreisträger kamen. In jenen Jahren wurden die jüdischen Wissenschaftler rausgeworfen. Trotzdem blieb Telschow auch nach dem Kriege Generalsekretär der in „Max-Planck-Gesellschaft“ umbenannten Organisation. In den letzten Jahren gab es bei den Eigentümern und Pächtern mehrere Wechsel; derzeit bieten aserbeidschanische Eigentümer bürgerliche deutsche Küche. Der 350 qm große Keller des Hauses wurde ab 1956 als „Eierschale“ zum angesagtesten Jazzclub West-Berlins. Hier kehrten die Jazz-Größen aus Amerika wie Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und Duke Ellington nach ihren großen Berlin-Auftritten ein und gaben Privatauftritte. 1977 zog der Club in das „Landhaus Dahlem“ am U-Bahnhof Podbielski-Allee um, weil die Miete am Breitenbachplatz zu hoch geworden war – ein Problem, das seither auch andere am Platz hatten … und bis heute haben.
Mit Haus Nummer 10 mit dem charakteristischen Turmbau, quasi Wahrzeichen des Platzes, erstreckt sich bis Haus Nummer 18 eine aus einer Hand entwickelte Geschäfts- und Wohnzeile. Die Hauszeile wurde 1929-32 von Otto Firle und Ferdinand Radzig im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut. Bauherren waren die beiden Architekten selbst, der Kaufmann Arnold Radzig – ein Bruder des Architekten – sowie der Bauunternehmer Robert Döffner. Firle, der auch als Designer stilbildend für seine Zeit war (u. a. entwarf er den Lufthansa-Kranich und er baute ein Jagdhaus für Hermann Göring auf dem Darß und das runde Nordstern-Gebäude Fehrbelliner Platz 2), hatte selbst dort sein Atelier. Die Wohnungen waren großzügig, oben gab es Atelierwohnungen, und es gab – eine Novität – sogar zwei Tiefgaragen. Das Denkmalamt schreibt über diese Gebäude: „Mit zwei Tiefgaragen, Läden im Erdgeschoss, großzügigen Viereinhalb-Zimmerwohnungen sowie hinter einer schmalen Terrasse zurückliegenden Atelierwohnungen in der dritten Etage gehört die Wohnanlage zu den fortschrittlichen Schöpfungen des Wohnungsbaus aus der Zeit der Weimarer Republik in Berlin“. In den Gewerberäumen gab es in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fluktuation: Wo heute ein Tex-Mex-Café ist, war zuvor „San Giorgio“, ein schwülstiges italienisches Restaurant; die Mittelsäule im heutigen Café ist noch davon übrig geblieben. Eine Filiale der Dresdner Bank, dann Commerzbank, erstreckte sich über zwei Gebäudeteile, so dass ihre Schließung 2017 das Bild des Platzes sehr veränderte.
Hinter Nummer 18 beginnt bereits mit Nummer 1 die Schorlemerallee, obwohl es „gefühlt“ noch Breitenbachplatz ist. Das „Tor zu Dahlem“ Richtung Schorlemerallee sollte das hier sein, doch dann spreizte man die Straßenführung: Links ging es über die Englerallee weiter. Die Häuser in der Schorlemerallee bis um die Ecke Spilstraße baute ebenfalls Radzig im gleichen Stil wie am Platz selbst. Die Schließung des Schlecker-Drogerieladens 2012 bedeutete einen großen Verlust an Laufkundschaft. Blumen-Florian hielt bis Dezember 2018 durch, mittlerweile ist dort aber wieder ein Blumenladen. Das „Gattopardo“, früher einmal beliebter Treffpunkt der FU-Professoren, ist nach 40 Jahren einem vietnamesischen Restaurant gewichen. Die weißen Häuser in der Schorlemerallee westlich der Spilstraße sind eine Muster-Reihenhausanlage im Bauhaus-Trend.
Das Haus Schorlemerallee 6 steht als Solitär, es ist die 1922 errichtete Villa des Bauunternehmers Paul Voss. Nicht nur sie steht unter Denkmalschutz sondern auch ihr Garten. Das nächste, ebenfalls von Ferdinand Radzig errichtete Doppel-Wohn- und Geschäftshaus, heute Breitenbachplatz 21 und 19, trug früher die Nummern Schorlemerallee 4 und 2. Hier beginnt der Ortsteil Steglitz, die Grenze verläuft entlang der Häuserfront. Wo heute eine orthopädische Gemeinschaftspraxis untergebracht ist, war 1935 bis 1965 im Erdgeschoss mit Saal-Verlängerung nach hinten das Kino „Lida“ (= Lichtspiele Dahlem) mit 342 Plätzen. Im heutigen Wartebereich der Praxis war der Vorführraum, im Laden Haus Nummer 19 (bis 2017 Eisenwaren Weger, ab 2019 gefolgt von einer Zahnarztpraxis) links davon das Kinofoyer. Zwischenzeitlich aber war in Nummer 21 eine Filiale der Berliner Bank. Das Doppel-Gebäude wurde 1933 ebenso wie die Anlage gegenüber von Ferdinand Radzig errichtet.
Es schließen sich Haus Nr. 19 und 17 mit kleinen Ladengeschäften an. Errichtet wurden sie 1930/31 für die Berlinische Baugesellschaft mbH von den Architekten Paulus und Paulus, die damals auch den Bau der Künstlerkolonie (siehe unten) betreuten. Gut gehalten haben sich dort die Fahrschule Lind und das Lädchen „Gartenhaus“.
Ab Hausnr. 15 bis zum Durchgang zur Brentanostraße sehen wird die Kopfseite einer architekturgeschichtlich bedeutenden Bebauung: Die 1925/26 für die Gemeinnützige Bauvereinigung Wohnungssuchender E.G.m.b.H. errichtete Wohnanlage Breitenbachplatz-Brentanostraße-Spinozastraße (damals Kleiststraße und Schlageterstraße) von Hermann Muthesius, einem der bedeutendsten Architekten zwischen Jugendstil und Bauhaus, zwischen Romantik und Moderne. Sein Landhausstil war prägend, irgendwie auch für diese städtische Wohnanlage. Muthesius, geboren 1861 nahe dem Kyffhäuser, wurde 1927 bei der Besichtigung einer Baustelle an der Schlossstraße von einer Straßenbahn erfasst und starb; die Straße, die dort abzweigte, ist seither nach ihm benannt. Auch die Kunsthochschule Kiel trägt seit 2005 seinen Namen. Muthesius war als Mitbegründer des Werkbunds und der Deutschen Werkstätten Hellerau stilbildend bis heute. Sein Vorzeige-Landhaus, in dem er selber wohnte, steht noch heute an der Potsdamer Chaussee kurz vor dem Autobahnkleeblatt.
Die Häuser, die am Breitenbachplatz hinter dem kleinen Durchgang folgen, waren ursprünglich vom Platz aus zugänglich, und es gab auch Ladengeschäfte zum Platz hin. Gebaut wurden sie 1926/27 von den Architekten Bleier und Clement für den Erbbauverein Moabit, dessen Wohnanlage sich längs der Schildhornstraße bis zur Paulsenstraße erstreckt. Die ursprünglichen Häuser Nr. 5, 7 und 9 am Breitenbachplatz, die heute als Schildhornstraße 46 sowie Brentanostraße 2 und 4 firmieren, wurden als einzige am Platz im Krieg durch Bomben zerstört und 1953 wieder neu errichtet – alledings vom Platz wegweisend. Im Haus Breitenbachplatz 9 (heute Brentanostraße 4) war ein Luftschutzkeller, in dem 27 Bewohner zu Tode kamen, weil sie nicht merkten, dass die Gasleitungen bei dem Angriff undicht geworden waren. Im Eckhaus war von Anfang an eine Drogerie, die einst als Stützpunkt der Nazis galt. Als Drogerie Korth hielt sie sich bis 1999, dann zog dort ein Beerdigungsinstitut ein.
Wieder unterqueren wir die Überbauung aus Beton. Einst mündete auf der gegenüber liegenden Seite die Kreuznacher Straße im spitzen Winkel auf den Platz. Zwischen Kreuznacher Straße und der damals weit schmaleren Schildhornstraße waren bis zur Gritznerstraße Laubenkolonien, auch dort, wo jetzt das Hochhaus steht. Zum Platz hin standen Lagerschuppen. Auf der anderen Seite erstreckt sich die zwischen 1927 und 1930 auf Initiative der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller errichtete Künstlerkolonie. Dass die vorderen Gebäude modern sind, liegt nicht an Kriegszerstörungen, sondern daran, dass 1933 die Nazis sofort verboten, die Anlage zu Ende zu bauen, weil sie für sie ein „rotes Nest“ war. Es wird berichtet, wie die Bewohner mit einem Begleitdienst solidarisch dafür sorgten, dass abends niemand allein zum und vom U-Bahnhof gehen musste, wo SA-Schläger lauern konnten. An der Spitze der nach 1952 neu errichteten Gebäude liegen Geschäftskolonnaden, die Ladenzeile der Künstlerkolonie. Sie hat die Adresse Breitenbachplatz 1. Die Fenster der Läden zur Platzseite waren damals echte Schaufenster zum Platz. Der Eigentümer Vonovia denkt daran, die Anlage ganz neu zu gestalten und hat den ehemaligen Fernsehladen als „KunstRaum“ eingerichtet, den unsere Initiative gemeinsam mit dem Verein Künstlerkolonie Berlin nutzen darf. Am Südwestkorso schloß sich eine Sparkassen-Niederlassung an, heute ist dort ein Kampfsport-Club.
Verfasser: Ulrich Rosenbaum
Fotos: Lutz Pietschker, 2020